Während der Corona Pandemie ist mir, wie wahrscheinlich den meisten anderen Eltern schulpflichtiger Kinder auch, die Misere eines völlig veralteten Schulsystems noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden. Konnten die meisten Arbeitgeber einen Großteil ihrer Mitarbeiter relativ problemlos ins Homeoffice schicken, ohne einen signifikanten Einbruch der Unternehmenstätigkeit erleiden zu müssen, sah dies im Schulsystem ganz anders aus. Als die Schulen das erste Mal auf Präsenzunterricht verzichten mussten, ist sehr schnell sehr deutlich geworden, wie weit das Bildungssystem der Digitalisierung hinterherläuft. Im Falle meines 8-jährigen Sohnes, wurden, während der ersten Welle der Pandemie, einmal pro Woche Kisten mit Aufgabenpaketen von den Lehrkräften auf den Schulhof gestellt. Jeder holte sich im Laufe des Tages seine Aufgaben ab und gab sie in der Woche darauf wieder ab. Ein direkter Austausch zwischen Lehrern und Kindern fand über Wochen nicht statt. An Videokonferenzen war, wegen datenschutzrechtlicher Bedenken und dem fehlenden Wissen im Umgang mit den entsprechenden Tools, nicht zu denken. Von den Schulämtern und Bildungsministerien gab es weder Vorgaben noch eine Orientierungshilfe für die Schulen. Alle waren von der Pandemie und den vermeintlich neuen Herausforderungen überrascht.
Dabei ist die mangelhafte Digitalisierung deutscher Schulen kein neues Thema, sondern allgemein bekannt. Durch die Pandemie ist das Digitalisierungsdefizit jedoch zu einem akuten Problem geworden, das zu signifikanten Lernrückständen deutscher Schüler geführt hat. Von derzeit nicht absehbaren psychischen Schäden vieler Kinder und Jugendlicher ganz zu schweigen. Das Bildungssystem hat auf die Pandemie im Jahr 2020 nicht wesentlich anders reagiert als es das im Jahr 1990 getan hätte. Natürlich gab und gibt es vereinzelt Schulen, die der unvorhergesehenen Situation schnell mit digitalen Lösungen etwas entgegenzusetzen hatten. Sieht man näher hin, ist dies aber in fast allen Fällen auf das Engagement und die Digitalaffinität einzelner Lehrkräfte und Schulleiter zurückzuführen, die beherzt gehandelt und Datenschutzbedenken vielleicht auch einfach mal beiseitegeschoben haben. Das zeigt einen wichtigen Aspekt auf, der mitverantwortlich für die Digitalisierungsmisere deutscher Schulen ist: es fehlt an der systematischen Ausbildung der handelnden Personen.
Im DigitalPakt Schule, der im März 2019 vom Bund verabschiedet wurde, wurden 5 Mrd. Euro für die Digitalisierung der Schulen zur Verfügung gestellt. Dass diese Mittel nur schleppend abgerufen wurden zeigt, wie überfordert das gesamte System mit der Thematik ist. Ursächlich dafür sind unter anderem die fehlenden personellen Ressourcen, in den für die Beschaffung und Infrastruktur zuständigen Behörden, auf kommunaler Ebene. Ein weiterer Grund für die Überforderung ist die fehlende Digitalkompetenz in Bildungsinstitutionen und Behörden. Es stehen demnach zwar Mittel zur Verfügung, es gibt aber kaum jemanden, der sie zielgerichtet einsetzen kann.
Das nicht vorhandene digitale Know-how spiegelt sich auch in den Bildungsplänen und Methoden wider, mit denen die Lerninhalte in der Regel vermittelt werden. Im Falle meines Sohnes geschieht das, wie schon zu meiner eigenen Schulzeit, überwiegend in Form von Arbeitsblättern und Arbeitsheften. Auch inhaltlich hat sich kaum etwas geändert, Kinder lernen nach wie vor Schreib- bzw. Grundschrift und bewertet wird am Ende wie sauber ein Kind geschrieben hat und ob auch jedes Bild auf den Arbeitsblättern hübsch ausgemalt wurde. Digitale Inhalte? Fehlanzeige! Und das ist ein ernsthaftes Problem. Die Inhalte und Lernmethoden entsprechen schon seit Jahren nicht mehr der Realität, in der unsere Kinder aufwachsen. Schon im Kindergartenalter lernen sie oftmals den ganz selbstverständlichen Umgang mit Smartphones, Tablets, Spielekonsolen und Sprachassistenten. Dass Kinder, die es früh gewohnt sind, interaktiv zu lernen, beim Eintritt in die Schule einem Arbeitsblatt nur bedingt etwas abgewinnen können, ist wenig verwunderlich. Hinzu kommt, die fehlende Vermittlung der so dringend notwendigen Medienkompetenz. Das ein unreflektierter Umgang mit Informationen unter anderem in sozialen Netzwerken und Messenger Diensten problematisch ist, haben die Entwicklungen der letzten Jahre deutlich gezeigt. Umso erschreckender ist, dass es darauf bildungspolitisch nach wie vor keine Antwort gibt. In Grundschulen werden lieber bunte Fensterbilder gebastelt als ein verantwortungsvoller und kritischer Umgang mit WhatsApp gelehrt.
Eine Reformation des gesamten Bildungssystems ist erforderlich und längst überfällig. Sie wird mit Sicherheit zu einer der zentralen Herausforderungen dieses Jahrzehnts. Geschieht sie nicht, wird Deutschland seine Rolle als eine der führenden Wirtschaftsnationen mit hoher Wahrscheinlichkeit über kurz oder lang verlieren. Der Fachkräftemangel im digitalen Sektor ist heute schon eklatant und die Situation wird sich, unter den gegebenen Umständen, in Zukunft wohl kaum verbessern. Im Kontext der Digitalisierung ist neben der Zurverfügungstellung der erforderlichen finanziellen Mittel, die Entwicklung eines Masterplans notwendig. Dieser muss neben infrastrukturellen Themen auch sicherstellen, dass Lehrkräfte und sonstige involvierte Personen entsprechende Ausbildungen genießen, um auch die inhaltlichen und pädagogischen Fragestellungen, die sich im Rahmen der Digitalisierung ergeben, beantworten zu können. Hier ist auch die Wirtschaft gefragt, die aus einem natürlichen Eigeninteresse heraus dabei helfen sollte, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, um die Digitalisierung des Bildungssystems deutlich schneller und konsequenter voranzutreiben. Das kann im Großen, bei infrastrukturellen Themen sein, das kann aber auch im Kleinen geschehen. Ich persönlich unterstütze die Grundschule, die mein Sohn besucht, mittlerweile bei Fragen der Digitalisierung und stoße dabei immer wieder auf erschreckende Erkenntnisse aber auch auf viel Dankbarkeit.
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